Für Frieden

1918–2018: Ein Manifest

Es sollte der Krieg sein, der alle Kriege beendet. Als vor fast einhundert Jahren, am 11. November 1918, der Erste Weltkrieg an der Westfront endete, schien eine neue Epoche der Geschichte anzubrechen, geprägt von Frieden, Demokratie und Menschenrechten, von nationaler Selbstbestimmung und internationaler Verständigung. Das Frauenwahlrecht begann seinen Siegeszug. Der Völkerbund sollte internationales Recht durchsetzen. Und bei vielen Menschen außerhalb Europas weckte das Versprechen von Selbstbestimmung auch Hoffnung auf das Ende des Kolonialismus. Doch alle Seiten, Sieger und Besiegte, neue und alte Nationalstaaten, verspielten diese Chance zu einer dauerhaften Friedensordnung – in Europa und der ganzen Welt. Zwei Jahrzehnte danach begann mit dem deutschen Überfall auf Polen der nächste Großkonflikt mit noch schlimmeren Verheerungen, höheren Opferzahlen und unvorstellbaren Verbrechen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gewann Westeuropa im transatlantischen Bündnis Zeit für eine stabile und friedliche Entwicklung und schuf mit der Europäischen Einigung ein Projekt des Friedens und des Wohlstandes, das aus den Schrecken der jüngsten Vergangenheit Lehren zog. Doch heute, fast 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktaturen und der Vereinigung des Kontinents, sind Demokratie, europäische Integration und auch der Frieden wieder in Gefahr. Etliche der gegenwärtigen Spannungen und Krisen erinnern an jene Schwierigkeiten, die durch die nach 1918 geschlossenen Friedensverträge gelöst werden sollten. Was damals ungelöst geblieben ist, erfährt heute erschreckende Aktualität. Lag der schweizerische Historiker
und Diplomat Paul Widmer doch richtig, als er 1993 formulierte, Europa habe zwar die Folgen des Zweiten Weltkriegs leidlich bewältigt, laboriere aber weiter an denen des Ersten?

Das Russland Putins tut sich schwer, die Unabhängigkeit der Ukraine, die vor einhundert Jahren zum ersten Mal ausgerufen wurde, zu akzeptieren, und erst recht ihren Weg nach Westen. Ähnliches gilt für Georgien und die baltischen Staaten, die ebenfalls nach dem

Ersten Weltkrieg erstmals eigenständig wurden. Die Staatenordnung, die nach 1918 im Nahen und Mittleren Osten entstand, hat sich nicht als haltbar erwiesen. Die Türkei leidet heute mehr denn je unter dem Phantomschmerz, die Bedeutung des Osmanischen Reiches verloren zu haben. Heute lebt die Menschheit erneut in einer multipolaren, instabilen und krisenhaften Welt – ähnlich wie nach 1918.

Im kommenden Jahr werden all diese Fragen zusätzliche Aktualität bekommen. Viele Länder Europas werden das Centennium ihrer staatlichen Unabhängigkeit oder ihres Sieges feiern. Andere werden eher an Niederlagen und deren Folgen erinnern. In West und Ost haben populistische Bewegungen, die parlamentarischer Demokratie und europäischer Integration skeptisch gegenüberstehen, an Zulauf gewonnen. Es droht eine neue Welle des Nationalismus. Wird es gelingen, dem Gedenken an das Ende des Ersten Weltkrieges dennoch eine – erneuerte – europäische Perspektive zu geben?

Es geht um mehr, als allein an die Opfer eines schrecklichen Krieges und an seine Folgen zu erinnern. Zu würdigen sind die Bedeutung des Friedens für Europa und die Welt, die Ideen eines universalen Völkerrechts und der rechtsstaatlichen Demokratie. Der erste Anlauf, diesen Werten nach 1918 weltweit Gestalt zu geben, scheiterte. Mit der Gründung der Vereinten Nationen und der Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wurde nach 1945 ein zweiter Versuch unternommen. In Europa kam dies aber zunächst nur der westlichen Hälfte zugute. Nach dem Ende des Kalten
Krieges schienen sich diese fundamentalen Werte endgültig durchzusetzen. Doch heute stehen sie unübersehbar und fast überall wieder unter Druck. Die einhundertste Wiederkehr des Kriegsendes und des Bemühens nach 1918, eine umfassende Friedensordnung herzustellen, ist der geeignete Zeitpunkt, über Grenzen hinweg ein deutliches Zeichen zu setzen für Menschenrechte und Meinungsfreiheit, für Rechtstaatlichkeit und Einhaltung des Völkerrechts.

Dazu wollen wir aufrufen!

Initiatoren: Markus Meckel, Politiker, Berlin; Etienne Francois, Historiker, Berlin; Bettina Greiner, Historikerin, Berlin; Oliver Janz, Historiker, Berlin; Sven-Felix Kellerhoff, Publizist, Berlin; Martin U. K. Lengemann, Fotograf, Berlin; Gorch Pieken, Historiker, Dresden; Stefan Troebst, Historiker, Leipzig

Unterschriften:

Belgien
Simon Louagie, Educational Manager, Mesen
Valerie Rosoux, Historiker, Louvain la Neuve
Nicholas Whyte, Politikwissenschaftler, Brüssel

Deutschland
Marieluise Beck, Politikerin, Berlin
Sarah-Maria Brech, Journalistin, Berlin
Marie-Janine Calic, Historikerin, München
Markus Dröge, Bischof, Berlin
Michael Epkenhans, Historiker, Potsdam
Bernd Faulenbach, Historiker, Bochum
Katja Fischer, Künstlerin, Berlin
Ralf Fücks, Publizist, Berlin
Gerhard Gnauck, Journalist, Warschau
Bernd Greiner, Historiker, Berlin-Hamburg
Thomas Hennig, Dirigent, Berlin
Gerhard Hirschfeld, Historiker, Stuttgart
Anna Kaminsky, Historikerin, Berlin
Basil Kerski, Publizist, Gdansk
Axel Klausmeier, Historiker, Berlin
Jürgen Kocka, Historiker, Berlin
Hartmut Koschyk, Politiker, Goldkronach
Gerd Krumeich, Historiker, Düsseldorf
Norbert Lammert, Politiker, Berlin
Jörn Leonhard, Historiker, Freiburg
Wilfried Loth, Historiker, Duisburg-Essen
Ulrich Mählert, Historiker, Berlin
Maria Menzel, Filmemacherin, Berlin
Gabriele Metzler, Historikerin, Berlin
Andreas Nachama, Publizist und Rabbiner, Berlin
Sönke Neitzel, Historiker, Potsdam
Cornelius Ochmann, Politologe, Warschau
Joachim von Puttkamer, Historiker, Jena
Nikolaus Schneider, Theologe, Berlin
Klaus-Heinrich Standke, ehem. Diplomat, Berlin/Cabourg
Matthias Weber, Historiker, Oldenburg
Dorothee Wierling, Historikerin, Hamburg
Manfred Wilke, Historiker, Berlin
Heinrich August Winkler, Historiker, Berlin
Andreas Wirsching, Historiker, München

Finnland
Bo Strath, Historiker, Helsinki

Frankreich
Corine Defrance, Historikerin, Paris
Ferry Jean-Marc, Historiker, Nantes
Mascha Join-Lambert, Aktivistin, Chambéry
Elise Julien, Historikerin, Lille
Sandrine Kott, Historikerin, Genf
Pierre Monnet; Historiker, Frankfurt/.M.
Nicolas Offenstadt, Historiker, Paris
Ulrich Pfeil, Historiker, Metz
Jakob Vogel, Historiker, Paris

Großbritannien
Timothy Garton Ash, Historiker, Oxford
Mary Fulbrook, Historikerin, London
Elizabeth Harvey, Historikerin, Nottingham
Thomas Kielinger, Publizist, London
Christine Reh, Politikwissenschaftlerin, London
Nick Roberts, Unternehmer, London
Albert Weale, Politikwissenschaftler, London

Irland
Robert Gerwarth, Historiker, Dublin
Alan Kramer, Historiker, Dublin

Italien
Guido Franzinetti, Historiker, Vercelli
Oswald Ueberegger, Historiker, Bozen

Lettland
Valters Nollendorfs, Historiker, Riga

Litauen
Alvydas Nikžentaitis, Historiker, Vilnius

Niederlande
Jan Marinus Wiersma, Politiker, Amsterdam

Österreich
Erhard Busek, Politiker, Wien
Christa Hämmerle, Historikerin, Wien
Stefan Karner, Historiker, Graz
Helmut Konrad, Historiker, Graz
Hannes Leidinger, Historiker, Wien
Verena Moritz, Historikerin, Wien
Dieter Pohl, Historiker, Klagenfurt
Oliver Rathkob, Historiker, Wien
Manfried Rauchensteiner, Historiker, Wien
Arnold Suppan, Historiker, Wien

Polen
Wlodzimierz Borodziej, Historiker, Warschau
Maciej Gorny, Historiker, Jena-Warschau
Adam Krzeminski, Publizist, Warschau
Jacek Kucharczyk, Politikwissenschaftler, Warschau
Aleksander Kwasniewski, Präsident a.D., Warschau
Agnieszka Lada, Politikwissenschaftlerin, Warschau
Pawel Machcewicz, Historiker, Warschau
Piotr Madajczyk, Historiker, Warschau
Adam Michnik, Publizist, Warschau
Adam Daniel Rotfeld, Politiker, Warschau
Krzysztof Ruchniewicz, Historiker, Wroclaw
Marek Siwiec, Politiker, Kiew
Krzysztof Stanowski, Aktivist, Lublin
Dariusz Stola, Historiker, Warschau
Robert Traba, Historiker, Berlin

Rumänien
Lucian Boia, Historiker, Bukarest

Russland
Irina Schwerbakowa, Historikerin, Moskau

Schweden
Peter Englund, Historiker, Uppsala

Slowakei
Dušan Kováč, Historiker, Bratislava
Juraj Stern, Wirtschaftswissenschaftler, Bratislava
Zuzana Sternova, Technische Wissenschaftlerin, Bratislava

Spanien
Jesús Izquierdo, Historiker, Madrid
Faraldo Jarillo Jose Maria, Historiker, Madrid
Ludger Mees, Historiker, Leioa
Ana Ruiz, Literaturwissenschaftlerin, Madrid
Carlos Collado Seidel, Historiker, Marburg

Tschechische Republik
Zdenek Hazdra, Historiker, Prag
Ondrej Matejka, Historiker, Prag
Blanka Mouralová, Politologin, Prag
Petr Pithart, Politiker, Prag
Vladimir Spidla, Politiker, Prag
Matej Spurny, Historiker, Prag
Oldřich Tůma , Historiker, Prag

Ukraine
Oksana Holovko-Havryševa, Völkerrechtlerin, Kiew
Oksana Sabuschko, Schriftstellerin, Kiew

Ungarn
Ballasz Peter, Politiker, Budpest
Dalos György, Schriftsteller, Berlin
Gyarmati István, Diplomat, Budapest
Hegedüs István, Budapest-Brüssel
Jeszenszky Géza, Historiker, Budapest
Pók Attila, Historiker, Budapest
Ungváry Krisztián, Historiker, Budapest

USA
James D. Bindenagel, Diplomat Hochschullehrer, Bonn
Jackson Janes, Think Tanker, Washington D.C.
Konrad Jarausch, Historiker, Chapel Hill
Hope Harrison, Historikerin, Washington D.C.
Norman M. Naimark, Historiker, Stanford
Jay Winter, Historiker, New Haven

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